An jenem Tag im blauen Mond September
Still unter einem jungen Pflaumenbaum
Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe
In meinem Arm wie einen holden Traum.
Und über uns im schönen Sommerhimmel
War eine Wolke, die ich lange sah
Sie war sehr weiß und ungeheuer oben
Und als ich aufsah, war sie nimmer da.
So erinnert sich der Schriftsteller Bertolt Brecht an seine Jugendliebe Marie A., die er einst im Spätsommer küsste. Und er erinnert sich, dass es unter einem Pflaumenbaum war.
Im August und September, wenn der strahlende Altweibersommer den Herbst ankündigt, ist auch die Zeit der Pflaumenernte. Schwer hängen die blauen Früchte in den Bäumen. Auf dem Markt türmen sich die Körbe, gefüllt mit Mirabellen, süßen Pflaumen oder fruchtigen Hauszwetschgen. In den Bäckereien duftet es lecker nach Pflaumenkuchen - in Bayern nennt man ihn etwas ruppig Zwetschgendatschi und garniert das Hefebackwerk mit einem Löffelchen Zucker oder einem Klacks Schlagsahne.
Manche Großmutter sitzt mit ihrem Enkel auf dem Schoß im Garten und versucht, ihm den altbekannten Fingerreim beizubringen:
Das ist der Daumen,
der schüttelt die Pflaumen,
Kinderbuch Das ist der Daumen
Fünf Kinder unterm Pflaumenbaumder hebt sie auf,
der trägt sie nach Haus,
und dieser kleine Schlingel,
isst sie alle auf.
Väter und Großväter haben meist eine andere Gedankenverbindung zu Pflaumen, Zwetschgen und Mirabellen als die Hausfrauen. Während diese Rezepte für Zwetschgenknödeln, Kompott, Pflaumenmus, Soßen, Marmelade oder Mirabellengelee austauschen, geben sich die Männer Tipps, wie man den besten Zwetschgenbrand oder Mirabellenlikör herstellt.
Bei der Produktion von Pflaumenwein sind die Chinesen und Japaner wahre Meister. Und in den Ländern auf dem Balkan versteht man es, aus den blauen Früchten hochprozentige »Wässerchen« zu destillieren. Bis zu 70 Prozent der Steinobsternte landen dort in den Maischefässern und Schnapsbrennereien, wo zum Beispiel der begehrte hochprozentige Slivovitz entsteht.
Aus dem Land der »Pflaumenwässerchen« ist auch das folgende Märchen überliefert: Es war einmal ein Bauer, der suchte für seinen Sohn eine tüchtige Frau. So lud er seinen Wagen voll mit Pflaumen und fuhr damit ins nächste Dorf. Dort rief er: »Tausche Pflaumen gegen Staub!«. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile, und schnell fegten die heiratsfähigen Frauen den Staub in ihren Häusern zusammen. Sie brachten soviel Staub, dass ihre Schürzen überliefen und jede brüstete sich, den meisten Staub gesammelt zu haben. Nur eine junge Frau hatte ein kleines Häufchen im Beutel. Der alte Bauer fragte sie, warum sie nur so wenig habe und sie antwortete: »Ach, ich habe in allen Ecken gekehrt und mich bemüht, aber es war im ganzen Haus nicht mehr Staub zu finden.« Da wusste der Bauer, dass die richtige Frau für seinen Sohn vor ihm stand. Sie war zudem hübsch und freundlich und so nahm er sie gleich mit auf seinem Wagen und fuhr davon.
Vermutlich verstand sich diese tüchtige Hausfrau aus dem Märchen nicht nur darauf, aus Pflaumen und Zwetschgen köstliche Süßspeisen zu zaubern, sondern auch köstliche Füllungen für allerlei Gerichte herzustellen. Pflaumen geben Rindsrouladen, gebratenen Enten und Gänsen einen köstlichen Geschmack und machen den Braten saftig. Im Speckmantel geschmort sind sie eine herzhaft würzige Vorspeise.
Die köstliche Pflaume stammt nach Meinung der Historiker aus dem asiatischen Raum. Legenden erzählen, dass die Soldaten Alexanders des Großen (356 bis 323 vor Christus) die Früchte von ihren Feldzügen durch Asien nach Europa gebracht hätten. Damaskus, heute Hauptstadt von Syrien, war schon vor zwei Jahrtausenden das Handelszentrum für Pflaumen und Zwetschgen. Das römische Wort dafür ist „damascena", was mit „Frucht aus Damaskus" übersetzt wird. Von den römischen Legionären sollen sie dann später im ganzen Imperium Romanum verbreitet worden sein, auch in den Norden bis nach Germanien. Andere Historiker meinen, dass unsere Vorfahren die Urformen der Zwetschgen und Pflaumen bereits längst kannten. Funde von versteinerten Kernen in Pfahlbauten am Bodensee und in anderen Steinzeitsiedlungen lassen darauf schließen, dass Pflaumen und Zwetschgen von unseren Vorfahren bereits nach der Eiszeit kultiviert wurden, also lange bevor die Römer kamen.
Aus einheimischen und importierten Baumkulturen haben die Obstbauern und Botaniker bis heute über 2000 Sorten gezüchtet, darunter zum Beispiel Eierpflaumen, Rundpflaumen, Zwetschgen, Renekloden und Mirabellen. Sie alle tragen den lateinischen Gattungsnamen Prunus. Pflaumen sind die beste Medizin für Magen und Darm
»Nimm Pflaumen für des Alters morsche Last, denn sie pflegen zu lösen den hart gespannten Bauch«, schrieb schon vor fast 2000 Jahren der römische Dichter Marcus Valerius Martial. Die ärzte der Antike wussten bereits um die bekömmliche Wirkung von Pflaumen und Zwetschgen.
Sie beinhalten wenig Eiweiß und Fett, dafür aber viele Vitamine wie Vitamin C und die Vitamine der B-Gruppe. Besonders auch das Provitamin A und Beta-Carotin. Mineralstoffe wie Eisen, Kupfer, Zink, Natrium, Kalium, Kalzium und Phosphor.
Ein besonders wichtiger Stoff zur Stärkung des Immunsystems ist in der schönen blauen Farbe der Frucht zu finden: es sind Anthozyane. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen gesundheitsfördernde Substanzen gegen degenerative Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Gelenke, der Augen, der Haut oder der Nieren. Außerdem soll dieser Wirkstoff ein guter Schutz gegen Krebserkrankungen sein.
Durch den hohen Ballaststoffgehalt sind Pflaumen als natürliches Abführmittel zu empfehlen. Besonders wirksam ist ein Löffel Pflaumensaft zur sanften Verdauungsregelung bei Kindern, aber auch Erwachsenen. Eingeweichte Trockenpflaumen mit dem Sud getrunken sind ein uraltes Hausmittel gegen Darmbeschwerden. Es wurde schon von den ärzten des Mittelalters verschrieben.
Frisch vom Baum gepflückt schmecken die Früchte am besten. Im Wachstum und in der Reifephase umhüllt die Frucht ein Film aus winzigen weißen Wachspigmenten. Der Belag schützt vor dem Austrocknen und dient als Barriere gegen Schädlinge. Daher sollte man die Früchte erst kurz vor dem Verzehr waschen oder abreiben.
Getrocknet halten sich Pflaumen bis in den Winter. Figürchen aus Dörrpflaumen werden auf deutschen Weihnachtsmärkten schon seit dem 16. Jahrhundert feilgeboten. Auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt heißen die kleinen Kunstwerke aus Draht, Trockenfrüchten und Wahlnusskopf »Zwetschgenmännla« und auf dem Dresdener Striezlmarkt nennt man sie »Pflaumentoffel«. Den Spottnamen »Du Zwetschgenmännchen« rief einst manch wohlgenährter Bauer respektlos einem hungrigen Habenichts nach.
Hochgeschätzt als Wohltäter der Menschheit musste die blaue Frucht dennoch in vielen Bedeutungen als Schimpfname herhalten. »Du Pflaume!« oder »Du Pflaumenaugust!«, was der modernen Beschimpfung »Du Weichei!« sehr nahe kommt, soll bis in die Zeit der Hofnarren zurückreichen. Auch Assoziationen zwischen der Pflaumenfrucht und den weiblichen Schamlippen soll nach den Sprachforschern im Spottnamen »Pflaumenaugust« verborgen sein. Und wer nach Meinung der Traumforscher von Pflaumen träumt, verarbeitet gerade sexuelle Phantasien.
Tief in der Frucht steckt der Kern, aus dem ein neuer Baum sprießt, wenn er auf fruchtbaren Boden fällt. Doch aus den aufgeschlagenen Kernen presst man seit alters her auch begehrtes öl. Es wird zur Herstellung von Persipan verwendet. Mit dieser aromatischen Rohmasse, die an Marzipan erinnert, veredeln Konditoren ihre Backwaren. Edles Marzipan wird aus Zucker und Mandelöl hergestellt. Der ähnliche Duft und Geschmack ist kein Zufall. Der Mandelbaum, ob er süße oder bittere Mandeln trägt, ist mit dem Aprikosen- und Pflaumenbaum verwandt und trägt den gleichen Gattungsnamen Prunus.
Mandel- und Pflaumenöl gelten als Balsam für die Haut, und so mischen Kosmetikhersteller in ihre Hautcremes diese kostbaren öle. Sie halten die Haut feucht und geschmeidig und schützen sie vor Infektionen.
Bei unsachgemäß hergestellten ölen ist allerdings auch Vorsicht geboten. Sie beinhalten den Bitterstoff Amygdalin, von dem sich in Verbindungen mit Wasser oder in unserem Verdauungstrakt giftige Blausäure abspalten kann. Deshalb müssen Bittermandelprodukte und Extrakte von Aprikosen- und Pflaumenkernen auf ihren Amygdalin-Gehalt überprüft werden. Das betrifft auch Spirituosen, bei denen Pflaumen, Kirschen oder Aprikosen mit einem hohen Anteil an Kernen vermaischt wurden. Ist der Wert zu hoch, muss entbittert werden. Das kann zum Beispiel mit Hilfe von Essig oder Fruchtsäuren erfolgen, die Blausäure binden oder durch Kochen und Destillieren, wobei die gefährlichen Stoffe verdampfen.
Wer aus Unachtsamkeit einen oder zwei Kirsch- oder Pflaumenkerne verschlucken sollte, braucht sich wegen des Amygdalins keine Sorgen zu machen. Vor dem Verzehr von rohen Aprikosenkernen, die vielfach über das Internet in Packungen von 200 Gramm angeboten werden, muss man allerdings ausdrücklich warnen.
Nicht unumstritten ist auch eine alternative Krebsbehandlung, bei der mit dem Amygdalin aus Aprikosen-Kernen Krebszellen bekämpft werden sollen. Um diese Therapie und um die Reinheit des verwendeten Amygdalins wurden in Deutschland bereits mehrere Prozesse geführt. Wirksamkeit oder Unwirksamkeit sind bislang unbewiesen. Eine Vergiftungsgefahr bei unsachgemäßer Handhabung und Dosierung ist nicht von der Hand zu weisen.
Doch zurück zu den reinen Freuden, die uns Pflaumen und Zwetschgen in vielerlei Formen bereiten. Sie bereichern nicht nur unseren Speisezettel, erfreuen den Gaumen und halten unsere Verdauung gesund. Die Gattung Prunus erfreut auch im Frühjahr und in den ersten Sommermonaten unser Auge und unsere Nase. Prunus gehört zur großen botanischen Familie der Rosengewächse und so blühen Kirschen, Pflaumen, Aprikosen, Mirabellen, Mandeln und ihre zahlreichen Anverwandten in herrlichen Formen und Farben. In China symbolisiert die Pflaumenblüte die weibliche Schönheit und Unberührtheit und den Sieg des Frühlings über den Winter. Und wenn man im Reich der Mitte von der zweiten Pflaumenblüte spricht, dann meint man damit die Wiederverheiratung einer reifen Frau. Auch in Japan ist die Pflaumenblüte das Symbol des erwachenden Lebens und der (weiblichen) Hingabe.
Und in ähnlichem Sinn endet auch Bertolt Brechts Gedicht an seine Jugendliebe Marie A. mit den folgenden Zeilen:
Und auch den Kuss, ich hätt ihn längst vergessen
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.