Zuerst die gute Nachricht: Zum Altbestand von ungefähr 4000 Bäumen, kamen in den vergangen 15 Jahren durch Neupflanzung eine halbe Million junger Setzlinge hinzu. Damit dürfte die Zukunft dieses schönen Wildobstbaumes in Deutschland gesichert sein.
Vom Aussterben bedroht, wurde er 1993 zum "Baum des Jahres" gewählt und bewirkte ein solch starkes Medieninteresse und Nachfragen, dass ein spezielles Verfahren zur Züchtung entwickelt werden musste, weil die sonst übliche Freilandaussaat keinen Erfolg brachte.
Der Speierling (Sorbus domestica), der eine Höhe von 20 Metern, ein Alter von 140 Jahren und einen Stammumfang von 100 Zentimetern erreichen kann, gehört in der Familie der Rosengewächse zur Gattung der Obstgehölze. Aufgrund seiner gefiederten Blätter wird er oft mit der weitschichtig verwandten Vogelbeere (Sorbus aucupuria) verwechselt. Den Unterschied bemerkt man ganz klar im Herbst, wenn aus den schönen Blüten des Frühjahrs leuchtend gelbrote, 3 bis 4 Zentimeter große birnen- oder apfelförmige Früchte werden, die an Schirmrispen hängen.
Der Baum, der sich ursprünglich vom asiatischen Raum über die Mittelmeerküsten bis nach Nordeuropa ausbreitete, trägt bei uns auch die Namen Sperberbaum, Sperbel, Speerbaum, Sporapfel, Spierapfel, Spreigel.
Erste Erwähnungen findet man bei dem griechischen Naturforschers Theophrast (387-321 v.Chr.). Er unterscheidet zwischen runden, wohlriechenden, süßen und eiförmigen, weniger gut duftenden und sauren Früchten. Und auch der Römer Columella macht schon im ersten Jahrhundert nach Christus, Angaben über deren Lagerung.
In unsere nördliche Breiten kam der Speierling über die mittelalterlichen Klostergärten, wie zum Beispiel in Sankt Gallen in der Schweiz. Auch in den Pfalzgärten von Kaiser Karl dem Großen wurde der Speierling angepflanzt. Wie aus seiner Landgüterverordnung „Capitulare de villis vel curtis imperiie" hervorgeht, sollten diese Bäume auf jedem königlichen Hofgut kultiviert werden. Die Pflanzen in diesen „Karlsgärten" kamen einer Apotheke gleich. Sie waren Nahrungs- und Heilmittel. Die unreifen Früchte des Speierlings wurden zum Beispiel bei Magen- und Darmbeschwerden eingesetzt, vor allem als Brechmittel zeigten sie ihre Wirkung, woraus vermutlich der Name resultiert. Die ausgereiften, süßen Früchte verabreichten die ärzte bei allgemeinen Schwächezuständen und zur Vitalisierung.
Auf italienischen Märkten kann man noch heute reife Speierlingsfrüchte kaufen. Auch in Frankfurt am Main ist die Wirkung des Speierling von altersher bestens bekannt. Dort wird der herbe Saft der noch unreifen Früchte dem „Nationalgetränk" äpfelwein zugesetzt. Die Gerbsäure macht den „Ebbelwoi" klar, konserviert ihn und gibt ihm eine herbe Geschmacksnote. Einige der so behandelten Weine tragen auch den Namen „Speierling".
Vergorene Speierlingfrüchte werden auch für die Herstellung guter Edelbrände benötigt. Sie heißen bei uns „Sperbelschnaps" und in Frankreich „Sorbette". Aus Speierlingssaft zaubert man auch Marmeladen, Gelees oder Liköre. Da die kostbaren Speierlingsfrüchte von wildwachsenden Bäumen per Hand gepflückt werden müssen, sind diese Produkte selten und teuer.
Ebenso ist es mit dem Speierlingsholz. Es ist schwer, hart, biegsam und fast unverwüstlich und eignet sich daher zur Herstellung mechanischer Bauteile wie Spindeln in Weinpressen und Zahnrädern in Uhrwerken. Diese Eigenschaften geben dem Holz auch einen einzigartigen Klang. Man fertigte daraus Orgelflöten, Schalmeien und Harfen.
Da die Bäume aber unter Schutz stehen, kommt heute kaum mehr Holz davon auf den Markt. So haben es zum Beispiel die alten Kammacher schwer. Nur wenige der kostbaren Holzkämme findet man heute noch im Handel.
Der dickste und älteste Sperbelbaum in Deutschland ist der „Ockstädter Riese". Er zählt an die zweihundert Jahre und hat einen Stammumfang von vier Metern. Seine Krone ragt an die 20 Meter in die Höhe und er trägt bis zu 20 Zentner Früchte im Jahr. Zu finden ist er in Ockstadt, westlich des Ortes an der Ostseite des alten Sportplatzes. Ockstadt ist ein Stadtteil von Friedberg in der Wetterau, nahe Frankfurt/Main.
Eine Kuriosität am Rande: Auch die Kosmetikhersteller haben den Sperbel für sich entdeckt. Lotionen aus den Früchten pflegen die Haut, wirken entschlackend, straffend und fördern die Elastizität und Geschmeidigkeit. Ein anderes kosmetisches Produkt, das aus den Speierlingsknospen hergestellt wird, strafft Augenfältchen und reduziert dunkle Ringe.
Warum dieser freundliche Baum, der in einem Jahrhundert sogar zum Riesen heranwachsen kann, der besonderen Pflege des Menschen bedarf, hängt mit seiner Bescheidenheit zusammen. Er wird durch schneller wachsende, aggressive Bäume in seiner Nähe in die Defensive gedrängt. Daher wird er auf Streuobstwiesen und in Wäldern an den Wegesrand gepflanzt. Junge Speierlinge haben es besonders schwer, denn ihre Wurzeln sind ein Leckerbissen für Wühlmäuse. Rehe und Hasen bevorzugen dagegen seine frischen Triebe, Blätter und die Rinde.
Biologen haben entdeckt, dass die Speierlingskerne in der Natur von Tieren, die die Früchte fressen, unverdaut weiter verbreitet werden. Doch das reichte nicht aus, um die Population zu erhalten. Weiter entdeckte man, dass sich die Kerne in den verrottenden Früchten auflösen und nicht mehr keimen. So entwickelten Botaniker ein neues Verfahren, bei dem sie die Kerne aus dem Fruchtfleisch waschen und für längere Zeit kühl und feucht lagern. Nach diesem "künstlichen Winter" pflanzt man den Kern in die Erde, und mit etwas Glück treibt davon jeder zweite aus und wird ein Speierling. Dies muss allerdings für die junge Frau kein Genuss gewesen sein, denn selbst wenn die Quitten voll ausgereift, aromatisch und duftend sind, ist es nicht empfehlenswert sie roh zu verzehren. Das Fruchtfleisch ist hart und holzig und hat einen herben, säuerlichen Geschmack. Wer sie allerdings trotzdem einmal roh probieren möchte, sollte sie, reif in feine Scheiben geschnitten und mit etwas Hong gesüßt verzehren.